The Man comes around

In dem letzten Jahr vor seinem Tode hat Johnny Cash einen Song geschrieben mit dem Titel: The Man comes around. Dieses ist auch der Titel des zugehörigen Albums, das Cash zusammen mit Rick Rubin, seinem letzten Produzenten, herausgegeben hat.

In dem Begleitheft, das der CD beiliegt, schreibt Johnny Cash etwas über die Entstehungsgeschichte von “The Man comes around”: Die Idee kam ihm von einem Traum, den er sieben Jahre zuvor hatte. Er war damals zu einem Konzert in Nottingham/England, und hatte sich dort ein Buch gekauft mit dem seltsamen Titel “Träume von der Königin”. Das Buch erzählte von Menschen in England, die von einer Begegnung mit Elisabeth II. geträumt hatten. In der darauffolgenden Nacht träumt Cash, daß er in den Buckingham-Palast geht und da sitzt die Königin und strickt und näht. In einem Korb hat sie Gewebe und Litze. Eine andere Frau sitzt bei ihr, sie sprechen und lachen miteinander. Als der Träumer sich ihnen nähert, sieht die Königin auf und sagt: “Johnny Cash, du bist wie ein Dornbaum im Wirbelwind.” - Dann erwacht er.

Sieben Jahre hat der Traum gebraucht, bis er zum Lied wurde. Vier Monate hat Cash daran gearbeitet - viel mehr Zeit, als er je auf einen Song verwandt hat. Drei dutzend Seiten Lyrics habe er dafür produziert. Der Konzentrationsprozeß am Ende brachte ausschließlich “The Man comes around”. -

Der Stimme von Johnny Cash in diesem Song hört man an, daß er schwerkrank ist, daß er sich abmüht. Trotzdem ist sein Gesang großartig, bedrückend intensiv.

Das Begleitheft des Albums zeigt bewegende Schwarz-Weiß-Fotos von dem alten Sänger. Das Heft schließt mit einem Wort an seinen Produzenten: “Again my heartfelt thanks to Rick Rubin, for his faith and confidence in me.” Dieser tiefempfundene Dank, den Cash niederschreibt, zeigt, wie wichtig Vertrauen zwischen dem Künstler und seinem Produzenten ist. Zehn Jahre hat Rick Rubin Cash begleitet. Er war mehr als sein Produzent, er war ihm ein Freund.

Das Traumereignis vom “Dornbaum” lag in dieser gemeinsamen Arbeitszeit.   ”Rick hat etwas in mir gesehen, von dem ich gar nicht mehr wusste , dass es da ist.”  Das Album “The Man comes around” war ihre letzte gemeinsame Veröffentlichung.

Der Traum, der dem Lied “The Man comes around” vorhergeht, beginnt mit einem Bild, das aus einer Tiefe kommt, in der Träume und Mythen entstehen. Da ist ein überdimensional großes Gebäude - ein Palast - darin sitzt eine Frau - hervorgehoben als Königin. Sie strickt und näht zusammen mit einer anderen Frau. Sie sprechen und lachen. Eine Verbindung dazu könnten die Schicksalsgöttingen sein, die Schicksalsgewebe, Unheilsgewebe wirken.

Cash selbst sagt zu dem Traum: “Der Dornbaum im Wirbelwind klang mir vertraut. Ich entschied, daß es ein biblisches Bild ist.” Er findet das Motiv im Buch Hiob (38-42). Gott spricht da zweimal aus dem Wettersturm. Er offenbart sich als der Gott, der sich persönlich um sein Geschöpf kümmert. Das Bild vom Dornbusch kennt Cash aus dem 2. Buch Mose (II/3). Dort spricht Gott aus dem brennenden Dornbusch. Er stellt sich als Jahwe vor, der verläßlich für sein Volk da sein wird. Beide Verheißungen aus dem Alten Testament sind Vorbereitung für den kommenden Christus. -

Ob es der körperliche Verfall ist, der Johnny Cash zu dem apokalyptischen Buch des Johannes führt? “The Man comes around” hat er als bereits todkranker Mann geschrieben. Cash selbst äußert sich dazu: “Die lyrische Arbeit an dem Traum führte mich zum Buch der Offenbarung.” “Offenbarung”, sagt er, “die bloße Interpretation des Wortes besagt doch wohl, daß sich etwas offenbart. Ich wünschte, es wäre so. Aber je mehr ich in dem Buch forschte, umso mehr erkannte ich, daß es ein Puzzle ist, selbst für viele Theologen. Schließlich sammelte ich all meine Papiere zusammen, zog vier oder fünf Seiten heraus und schrieb meine Lyrics.”

Cash versucht, Bilder aus dem Buch der Offenbarung zu heben (”lift up”; Offenbarung 6,8 (Tod), 16,16 (Harmagedon), 19,11 (weißer Reiter)). Im 19. Kapitel heißt es da: “Und ich sah den Himmel aufgetan. Und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hieß Treu und Wahrhaftigkeit. Und er richtet und kämpft mit Gerechtigkeit. Und er trug einen Namen geschrieben, den niemand kannte, als er selbst. Und er war angetan mit einem Gewand, das mit Blut getränkt war. Und sein Name ist Wort Gottes.”

Die Apokalypse des Johannes ist trotz der schrecklichen Ereignisse, die geschehen, im Letzten tröstlich. Das Ende ist der wiederkehrende Christus, der Treu und Wahrhaftigkeit heißt, dessen Name Wort Gottes - Liebe - ist. Das Ende aus christlicher Sicht ist nicht das Eschaton. Das Ende ist der Eschatos.

Johnny Cash entfaltete in “The Man comes around” Bilder vom Ende, die eigenartig ambivalent sind. Da ist der Mann, der umhergeht und Namen aufnimmt und entscheidet, wer frei sein wird und wer zu Schanden wird. Nicht alle werden gleich behandelt werden. Auch bei den Schicksalsgöttinnen gibt es Gerechtigkeit nicht. In dem Lied heißt es weiter: Schrecken ist in jedem Bissen und in jeder Suppe. Die Haare auf deinem Arm werden sich aufstellen vor Entsetzen. Bis zur Endschlacht von Harmagedon wird nirgends Friede sein. Wer ungerecht ist, soll jetzt ungerecht bleiben, wer schmutzig ist, soll jetzt schmutzig bleiben. Zuletzt gibt es keine Rettung mehr - eine fatalistische Sicht.

Da ist eine goldene Leiter, die vom Himmel herabreicht. An einen menschlichen Aufstieg ist wohl nicht gedacht. Da ist die Vater-Henne, die das Reich ihrem Küken übergeben wird. Eine fast zärtliche Beziehung in diesem sonst unheimlichen Lied. Könnte die Rettung von dem Sohn kommen?

Der Song schließt mit einem Bild aus dem 6. Kapitel der Offenbarung: der letzte Unheilsreiter tritt auf - der Tod auf seinem fahlen Pferd und Hölle folgt ihm nach. “The Man comes around” endet düster.
“Johnny Cash, du bist wie ein Dornbaum im Wirbelwind” - warum nimmt Cash in seiner tiefen Religiosität nicht den Trost auf, den der Seher Johannes im Buch der Offenbarung aufzeigt? Johannes spricht aus der Fülle der Heiligen Schriften heraus, die hinter ihm stehen. Er spricht nicht für sich. Johnny Cash fühlt sich nicht berufen, christliche Verheißungen zu verkünden. Einem Journalisten hat er einmal auf die Frage, ob er ein christlicher Künstler sei, geantwortet, er sei Künstler und er sei Christ. Er gestaltet seine Bilder der Apokalypse als Künstler. Cash war immer ein düsterer Sänger, warum sollte er es jetzt anders machen? Der letzte Unheilsreiter, der in “the man comes around” auftritt, ist der Tod - das ist die Realität, die er wahrnimmt.

“Johnny Cash, du bist wie ein Dornbaum im Wirbelwind” - die tiefe Gewißheit in diesem Traum, daß Gott sich um ihn kümmert, gibt ihm wohl die Kraft, die Schreckensbilder vom Ende auszuhalten. Ohne diesen sicheren Grund, der tiefer ist, als jeder Abgrund, hätte er wohl nicht das Selbstvertrauen gehabt, in der Nähe seines Todes über die Apokalypse zu singen.

2 Reaktionen zu “The Man comes around”

  1. mb

    Hallo Team!

    Ich habe den o.a. Song von Johnny Cash Dutzende Male gehört, aber war nie dahinter gekommen, was ihn dazu inspiriert hat. Ihre Seite hat großartige Erklärungen geliefert, besten Dank!

  2. SonyaSunny

    Hi there,
    Thank you! I would now go on this blog every day!

    Thank you
    SonyaSunny