Die Majestät des Todes ist anwesend

“Wird es noch eine Weile sein, bis ich Doktor Tod sehe, so wäre es fein, wenn ich meinen Atem hätte. Nun bin ich nicht von der Art, die schreit oder weint, bis ich die Pfeife höre von der 309 - von der 309 - von der 309.”
“Like the 309″ ist der letzte Song, den Johnny Cash geschrieben und aufgenommen hat auf seinem Album “A hundred highways”. Das war im Sommer 2003.
“Rick, gib mir zu arbeiten”, hat er nach June´s Tod im Mai 2003 zu seinem  Produzenten gesagt.  ”Gib mir zu arbeiten. Wenn ich an June denke, sterbe ich!” - Cash war sehr schwach. Er saß im Rollstuhl. Er wußte, was er hatte und daß er nicht mehr viel Zeit haben würde. Es war ihm daran gelegen, noch eine Platte fertig zu bekommen. Das hat er nicht mehr ganz geschafft.
Rick Rubin: “Die Songs auf  ”A hundred highways” sind seine letzte Botschaft, das, was er uns noch sagen wollte.”   Es ist Rubin`s liebste Platte.
“Wo der Weg dunkel ist und die Nacht kalt, bekam ich ein Lied zu singen, das mich vor der Kälte bewahrt. - Jetzt war ich in der Wüste, meine Zeit fertig zu tun, den Staub zu durchsuchen, nach einem Zeichen zu sehn. - Ob auf dem Weg ganz oben ein Licht ist, nun Bruder, ich weiß es nicht. Aber an einem sonnigen Morgen werden wir aufstehen, weiß ich und ich werde dich treffen, Bruder, weiter oben auf dem Weg.” (”Further up on the road” - American Recordings V)
Wenn du die Songs hörst - du hörst, daß Johnny Cash todkrank ist. Seine Stimme ist rau,  brüchig, verwundet. Er müht sich ab. Manchmal ringt er nach Luft. - “Herr, hilf mir gehen eine weitere Meile, gerade noch eine Meile. Ich bin müde alleine weiter  zu gehn. Herr, hilf mir lächeln, gerade noch ein Lächeln. Du weißt, ich kann es selber nicht mehr tun.  Mit demütigem Herzen, auf gebeugtem Knie, bitte ich Dich, hilf mir.” (”Help me” - American Recordings V)
Jeder Song trifft dich ins Herz. Jeder Song ist ein Tremendum. Du sagst ergriffen: “sehr schön”. Rolling Stone schreibt: “Johnny Cash singt mit hypnotischer Kraft. Selbst vom Rollstuhl aus wirft er noch einen mächtigen Schatten.” (Nov. 2003)
Auch die Texteinlage, die der Produzent dem Album “A hundred highways” beifügt,  ist eindrücklich. Das Schwarz-Weiß-Foto auf dem Deckblatt zeigt den alten Künstler - in sich gekehrt - mit Kopfhörer - die Hände ruhen auf Lehnen. Sie werden keine Gitarre mehr anfassen. Hinter dem Künstler reicht ein Lichtband herunter - “a golden ladder reaching down, when the man comes around.” (American Recordings IV) Eine lichte Gestalt hat den Mund wie zum Singen geöffnet - “hear the trumpets, hear the pipers, one hundred million angels singing.” - Lobgesang?
Wenn du den Text in der Einlage liest - da ist ein kleiner Abschnitt über ein gemeinsames Ritual, das der Produzent und sein Künstler vier Monate lang täglich bis zu Cash´s Ende einhielten.
Stell dir  den Produzenten vor: jung, erfolgreich - seine Wurzeln im hard-rock und rap - geschäftstüchtig: “Music business is lousy at nourishing creative people. But my personality is pretty well suited for it.” (Time, Febr. 2007) - “Zen as he is”, ist der christliche Glaube nicht seine Welt. - Nun hört er von einem “outrageous tele-evangelist”, der seinen Krebs mit täglicher Kommunion geheilt hat. Das Erstaunliche, das geschieht, ist, dass Rick Rubin glaubt, dass das möglich ist.  Er bespricht das ernsthaft mit Cash. “Ich hatte noch nie die Kommunion empfangen, John gab mir meine erste Kommunion.” Dann begehen sie das Ritual jeden Tag am Telephon. Cash spricht den Ritus vor. “Er spricht aus so einer Tiefe seines Herzens, daß du weißt, das ist wirklich. Du brauchst nicht glauben, wenn Du ihm glaubst, bist du auf der Fährte.” “Wir nahmen die Worte tief in uns hinein - mit geschlossenen Augen.   A moment to connect deeply to spirit.”
Gemeinsam auf Heilung schauen. “Wir sind bestimmt,  einer den anderen zu tragen. Einer den anderen zu tragen. One.” (”One” -  American Recordings III)

Jeder Anruf endete auf die gleiche Weise
“I love you John”
“I love you Rick”

Moment mit Ewigkeitsperspektive

Notiz: Kommunion in der christlichen Abendmahlstradition feiert ein göttliches Ereignis. Der Tod ist anwesend. Anwesend ist zugleich auch, daß dieser Tod überwunden wird durch eine Liebe, die stärker ist als der Tod und die den Weg aufstößt in das Leben.

Eine Reaktion zu “Die Majestät des Todes ist anwesend”

  1. Margarete Montag

    Diese Reflexion hat mich sehr beeindruckt. Die Notiz ist eine zusätzliche Bereicherung, kannte ich aus meinen Unterlagen noch nicht.