Der Mund ist im Licht

Dem Album „The man comes around“ (AR IV) hat der Produzent Rick Rubin ein sehr schönes Cover-Heft beigelegt. Darin schreibt Johnny Cash im August 2002, was ihn zu dem Song „The man comes around“ angeregt hat. Es war ein besonderer Traum, den er sieben Jahre zuvor hatte.      „Rick hat etwas in mir gesehen, von dem ich gar nicht mehr wußte, daß es da ist.“ – „Again my heartfelt thanks to Rick Rubin for his faith and confidence in me.”

Bei den Aufnahmen zu „The man comes around“ wußte Cash, daß er unheilbar krank war und nur noch wenige Monate zu leben hatte. „Ich weiß, dunkle Wolken sammeln sich um mich. Ich weiß, mein Weg ist hart und steil.“ („Wayfaring stranger“, AR III)    „Schade, daß meine Stimme kaputt ist.”   „Ich mag deine Stimme so wie sie ist. Sie ist ehrlich.”     Johnny Cash singt diese letzten Songs tief aus Leib und Seele heraus .  Er berührt Deine Seele.   Du hörst in Ehrfurcht.

Die Songs „Dany Boy“ (AR IV) und „You´ll never walk alone“ (”unearthed” III) nahmen sie in der St. James Church in Los Angeles auf, mit Benmont Tench von den Heartbreakers an der Orgel. Benmont Tench: „Es ist schwer in Worte zu fassen, aber die Aufnahme wird es dir zeigen, wie es war: unbeschreiblich bewegend.”     Den Kirchenraum mit dem Gestühl für den Priester und den beiden Mikrofonen davor siehst Du auf der Rückseite des Covers.    Rick Rubin: „John wollte ein ganzes Album in einer Kirche aufnehmen und das war schon unser fester Plan. Stoff dafür hatten wir genug.“

Im Innenteil des Covers siehst Du Rubins Studio in Los Angeles. In der Mitte des Raumes sitzt Cash mit seiner Gitarre. Du siehst ihm an, daß er sich hier wohlfühlt.  Er strahlt.   Sehr schön!    Um ihn herum Musiker und Toningenieure, die ihn alle ganz offensichtlich lieben.    Und wenn Du genau hinsiehst wie auf ein Suchbild, dann ist da auch der Produzent. Im Booklet zu „unearthed“ spricht Cash von Rubins unbeirrbarem Beharren auf einer “existence without shoes.”    Bei dem Song „We´ll meet again“, den Cash als letzten auf „The man comes around“ haben wollte, mußte die ganze Crew, die in seinem Hause arbeitete und alle, die an der Aufnahme des Albums beteiligt waren, mitsingen.  Rubin: „Rick, du singst auch mit, sagte er zu mir. Er war da ganz hartnäckig.”   „We´ll meet again. Don´t know where, don´t know when, but I know we´ll meet again some sunny day.”

Das Cover enthält weitere künstlerische Fotos: Johnny Cash – einsam, im Dunkel – in seiner Studio-Cabine in Hendersonville.   „Late and alone“ sollte ein Album von ihm heißen.   Jetzt war die Zeit von „The man comes around“.  Das Mikrofon, das dasteht, leuchtet.  Dunkelheit gerät ins Leuchten.   „Wenn du ganz allein bist, Fleisch und Knochen, da ist einer, der deine Gebete hört, einer, der da ist, einer, der sich kümmert. Reich herauf und faß an den Glauben. Reach up and touch faith.“ („Personal Jesus“, AR IV)

Ein anderes Foto zeigt den Künstler, wie er hinter einem Nebel uns schon entschwindet..

Johnny Cash hat oft gesagt: „Ich bin begeistert vom Leben, aber ich habe keine Angst vor dem Tod. Wirklich nicht.”  Aber sterben ist noch etwas anderes.  „Die Haare auf deinem Arm werden sich aufstellen, bei dem Schrecken in jedem Bissen und in jeder Suppe. Du wirst teilnehmen an dem Becher, der zuletzt gereicht wird – when the man comes around.“”

Auf einer Nahaufnahme seiner linken Hand trägt Cash den Siegelring mit dem gekreuzigten Christus.  „Jesus, wenn Du meinen letzten Atemzug hörst, Jesus, oh Jesus, laß mich nicht alleine sterben. Ich weiss, ich habe gesündigt, aber Herr, ich leide.  Jesus, oh Jesus, wenn Du meinen letzten Atemzug hörst, lass mich hier nicht verlassen einen einsamen Tod sterben”. („Spiritual“, AR II)

Mit dem Deckblatt von „The man comes around“ gibt Rick Rubin, der Produzent, dem Freund ein Foto, das ins Herz geht.  Es zeigt Johnny Cash im Profil mit Brille. Der Kopf ist leicht geneigt. Die Augen sind wie im Schmerz geschlossen. Bis auf die Vorderseite des Gesichtes ist alles im Schatten.   Der Mund ist im Licht.

Journalisten haben geschrieben, daß Johnny Cash in seinem letzten Lebensjahr sehr verändert war durch Krankheit und durch Alter.  Kranksein zum Tode ist unansehnlich.  Ein Priester hat einmal zu mir gesagt: „Ich möchte im Alter nicht so herunterkommen wie Papst Johannes Paul II.“ Die Bilder, die zuletzt von ihm durch die Medien gingen, zeigten ihn unwürdig, ja häßlich.     Bei diesem Gespräch erinnerten wir uns an die Propheten Jesaja (1) und Jeremia (2). „Bist du nicht mein teurer Sohn und mein geliebter Sohn. Darum bricht mir mein Herz, daß ich mich deiner erbarme,” spricht der Herr. „Ich rufe dich aus der Demütigung herauf in die Würde, in die Schönheit.”   „Die Vaterhenne wird das Reich ihres Kükens ausrufen. Der weise Mann wird sich vor dem Thron niederbeugen. Die goldenen Kronen werden sie vor dem Thron ablegen – when the man comes around.”

Das Foto auf dem Deckblatt zeigt einen Menschen, der leidet, leidet in Todesnähe.   Ein Schmerz, der tief an den Schmerz Gottes hinabreicht.    „Hochadel des Schmerzes.“ (3)    Ein Gesicht, das schön ist.  Ein Antlitz.   Die Erhabenheit ist anwesend in den Songs von „The man comes around.”   „Und der Wirbelwind ist im Dornbaum. Die Jungfrauen beschneiden alle ihre Dochte. Der Wirbelwind ist im Dornbaum. Es ist hart, gegen die Stacheln zu treten.”            Johnny Cash hat Angst, Schrecken, Leiden durch die Dunkelheit, durch Schmerzen hindurchgetragen, hindurchgesungen.        Der Mund ist im Licht.

(1) Jesaja 52 u. 53 „Die Herrlichkeit des Knechtes Gottes“
(2) Jeremia 31, 20
(3) J.E. Berendt: „Hinübergehen“, 1993, S. 123